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Gedichte

Der Morgenstern

Hebel, Johann Peter
Woher so früeih, wo ane scho,
Her Morgestern, enanderno
in diner glitzrige Himmelstracht,
in diner guldige Locke Pracht,
mit dinen Auge chlor und blau
und sufer gwäschen im Morgetau?

Hesch gmeint, de seisch elleinig do?
Nei weger nei, mer meihe scho!
Mer meihe scho ne halbi Stund;
früeih ufsto isch de Gliedere gsund,
es macht e frische, frohe Mueth,
und d'Suppe schmeckt eim no so guet.

's git Lüt, sie dose frili no,
sie chönne schier nit use cho.
Der Mähder und der Morgestern
stöhn zitli uf, und wache gern,
und was me früeih um Vieri thuet,
das chunnt eim z Nacht um Nüni guet.

Und d'Vögeli sin au scho do,
sie stimmen ihri Pfifli scho,
und uffem Baum und hinterm Hag
seit eis im andere Guete Tag!
und 's Turteltübli ruukt und lacht,
und 's Betzitglöckli isch au verwacht.

"Se helfis Gott, und gebis Gott
e guete Tag, und bhüetis Gott!
Mer beten um e christlig Herz,
es chunnt eim wohl in Freud und Schmerz;
wer christli lebt, het frohe Muet:
der lieb Gott stoht für alles guet."

"Weisch Jobbeli, was der Morgestern
am Himmel suecht? Me seit's nit gern!
Er wandlet imme Sternli no,
er cha schier gar nit vonnem lo.
Doch meint si Muetter, 's müeß nit si,
und thuet en wie ne Hüenli i.

Drum stoht er uf vor Tag, und goht
sim Sternli no dur's Morgeroth.
Er suecht, und 's wird em windeweh,
er möcht em gern e Schmützli ge,
er möcht em sagen: »I bi der hold!«
es wär em über Geld und Gold.

Doch wenn er schier gar binem wär,
verwacht si Muetter handumchehr,
und wenn sie rüeft enanderno,
sen isch mi Bürstli niene do.
Druf flicht sie ihre Chranz ins Hoor,
und lueget hinter de Berge vor.

Und wenn der Stern si Muetter sieht,
se wird er todesbleich und flieht,
er rüeft sim Sternli: »Bhüetdi Gott!«
Es isch, as wenn er sterbe wott.
Jez Morgestern, hesch hohi Zit,
di Müetterli isch nümme wit.

Dört chunnt sie scho, was hani gseit,
in ihrer stille Herlichkeit.
Sie zündet ihre Strahle a,
der Chilchthurn wärmt si au scho dra,
und wo si fallen in Berg und Tal,
se rüehrt si 's Leben überal.

Der Storch probiert si Schnabel scho:
»De chasch's perfekt, wie gester no!«
Und d' Chemi rauchen au alsgmach;
hörsch's Mühlirad am Erlebach,
und wie im dunkle Buchewald
mit schwere Streiche d'Holzax fallt?


Was wandlet dört im Morgestrahl
mit Tuech und Chorb dur's Mattetal?
's sin d'Meidli jung, und flink und froh,
sie bringe weger d'Suppe scho,
und 's Anne-Meili vornen a,
es lacht mi scho vo witem a.


Wenn ich der Sunn ihr Büebli wär,
und 's Anne-Meili chäm ungfähr
im Morgerot, ihm giengi no,
i müeßt vom Himmel abe cho,
und wenn au d'Muetter balge wott,
i chönnt's nit lo, verzeih mer's Gott!

Mai 2010


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