Das Alemannische - seine Herkunft und Geschichte
von Rudolf Post
Die heute im Südwesten des deutschsprachigen Gebietes gesprochenen Mundarten werden von der Sprachwissenschaft zum Alemannischen gezählt. Dieses Alemannische wird in sechs Staaten, nämlich in Deutschland (Teile von Baden-Württemberg und Bayern (Allgäu)), in Frankreich (Elsass), in Österreich (Vorarlberg), dann im Fürstentum Liechtenstein, in der deutschsprachigen Schweiz, aber auch in kleinen Sprachinseln in Norditalien, z. B. in den Siedlungen Issime oder Gressoney gesprochen. Heute kaum noch oder überhaupt nicht mehr existent sind die vor 250-200 Jahren in Südosteuropa gegründeten Kolonien mit Siedlern alemannischer Sprache, etwa in Saderlach oder Sathmar im heutigen Rumänien oder in der Gegend von Tiflis im Kaukasus. Dass man die in den eben umrissenen Gebieten gesprochenen Mundarten mit dem Überbegriff "Alemannisch" bezeichnet, ist jedoch noch gar nicht so lange her. Es ist Johann Peter Hebel, der mit seinen 1803 in erster Auflage erschienenen "Allemannischen Gedichten" dieser Bezeichnung zum Durchbruch verholfen hat (Hebel schreibt, wenn man den Herausgebern seiner Schriften vertrauen kann, das Wort manchmal mit zwei, manchmal mit einem l, also allemannisch neben alemannisch. Heute hat sich die Schreibung mit einem l durchgesetzt, daneben verwenden aber besonders Archäologen und Historiker noch die historisierende Schreibung alamannisch, Alamannen und bisweilen kann man in populären Kontexten auch noch die einer mundartlichen Phonetik verpflichteten Schreibweisen allimannisch, alimannisch, Allimanne u. ä. lesen).
J. P. Hebel und Alemannisch
Wie kam nun Hebel dazu, seine Wiesentäler Mundart als „allemannisch” zu bezeichnen? Vermutlich wurde er dazu durch die Lektüre der Zeitschrift „Bragur - ein literarisches Magazin der teutschen und nordischen Vorzeit” angeregt. In den Jahrgängen 1798 und 1800 fand Hebel hier neben Sprichwörtern, altdeutschen Volksliedern auch eine Edition eines „Alemannischen Gesangs zum Lobe der heiligen Jungfrau”, ein Gesang, der heute als „Melker Marienlied” in die Forschung eingegangen ist. Offensichtlich stellte er bei der Lektüre dieses „alemannischen Gesangs” bei Wörtern wie muoter 'Mutter', wib 'Weib', glich 'gleich', niene 'nirgends', chint 'Kind' oder chraft 'Kraft' verblüffende Gemeinsamkeiten mit seiner Wiesentäler Mundart fest. So schreibt er im Jahre 1802 an seinen Herausgeber, dass der Dialekt seiner Gedichte „an das Alterthum unserer dunklern Jahrhunderte gränze, und [...] sich in ihm die alte alemannische Volkssprache erhalten habe”. In bewusstem und romantisierendem Rückgriff auf die Geschichte, mit Blick auf die überlieferten Textzeugnisse des frühen Mittelalters aus dem alemannischen Raum, sieht Hebel seine Sprache als Dokument der Sprache der Vorzeit.
Wer waren die Alemannen?
Können wir mit unserem heutigen Wissen Hebel folgen? Ist die heute hier gesprochene Mundart die „alte alemannische Volkssprache”? Um diese Fragen bejahen oder verneinen zu können ist vorweg einiges zu klären: Wer waren überhaupt diese „alten Alemannen”, woher kamen sie, gab es sie überhaupt als einheitliches Volk mit einer einheitlichen Sprache und wenn, wie hörte sich diese Sprache an? Die historische Forschung über die Alemannen hat in der letzten Zeit große Fortschritte gemacht, dennoch ist bisher noch vieles im Dunkeln geblieben. Mehr und mehr schwächt sich aber das von früherer historischer Forschung gezeichnete Bild ab, nach dem die Alemannen als einheitlicher und geschlossener Stammesverband die römischen Grenzfestungen nach schweren militärischen Auseinandersetzungen mit den römischen Grenztruppen überrannt, und sich dann in einer gezielten Landnahmeaktion das Gebiet zwischen dem obergermanisch-rätischen Limes und dem Rhein allein zu eigen gemacht hätten, wobei die Vorbevölkerung zumindest vertrieben, wenn nicht gar sämtlich totgeschlagen worden sei. Heute sieht es eher so aus, dass der Limes durch innerrömische Streitigkeiten weitgehend von Truppen entblößt war, so dass von außen herumziehende Germanen „einsickern“ konnten (vor allem aus dem Elbe -Saale Gebiet, aber auch aus dem böhmischen Raum), teils nur zu periodischen Beutezügen, von denen sie wieder in ihre Herkunftsgebiete zurückzogen, teils aber auch, um sich bei den Römern zu verdingen oder um im bisher römischen Gebiet zu siedeln. Wie wurden nun diese Germanen von den Römern genannt oder wie nannten sie sich selbst? Der erste, wirklich gesicherte Beleg für den Namen der Alemannen stammt aus dem Jahre 289 aus Trier. Dies ist im Gegensatz zu anderen germanischen Stämmen, wie etwa den Sueben oder Semnonen, die schon bei Cäsar und Tacitus genannt werden, relativ spät. Nicht sicher geklärt ist auch das Verhältnis der sogenannten Alemannen zu den eben genannten Sueben und Semnonen, denn im frühen Mittelalter werden Alemannen und Sueben oft synonym gesetzt, z. B.: Suebi id est Alamanni (Schwaben = Alemannen). Waren das nur verschiedene Namen für die gleichen Volksgruppen oder haben sie sich später enger zusammengeschlossen, so dass sie als Einheit gesehen wurden?
“Zusammengespülte Menschen”
Die oben skizzierte neuere Geschichtsdeutung, die von periodischen Raubzügen und dem langsameren Einsickern verschiedener Volksgruppen in das Gebiet zwischen Rhein und Limes ausgeht, wird einerseits durch archäologische, aber auch durch sprachliche Indizien gestützt. Die archäologischen Befunde lasse ich einmal beiseite und wende mich sprachlichen Indizien zu. Das erste wichtige Argument liegt im Namen der Alemannen selbst. Schon einem spätantiken Autor aus dem 3. Jahrhundert wird die erste, durchaus zutreffende Deutung zugeschrieben. Er soll nämlich gesagt haben „Zusammengespülte und vermengte Menschen“ seien die Alemannen, „und dies drückt auch ihre Benennung aus“. In der Tat ist der Name Alemannen ja aus zwei Bestandteilen gebildet, nämlich den Entsprechungen unserer heutigen Wörter all, alle und Mann, Mannen und bedeutete etwa „Gesamtheit von Menschen/Männern”, was auf einen Zusammenschluss von Menschen verschiedener Herkunft hindeutet. Es spricht also vieles dafür, dass die Alemannen erst in den neuen, ehemals römischen Gebieten zu einer gewissen Einheit gefunden haben.
Kelten, Romanen, Alemannen
Sprachliche Gegebenheiten sprechen auch dagegen, dass die Alemannen bzw. ihre Vorfahren als geschlossener Stamm die neuen Gebiete planmäßig erobert, die Vorbevölkerung vertrieben oder totgeschlagen und dann das eingenommene Gebiet systematisch besiedelt und bevölkert hätten. Dafür existieren heute in dem damals eingenommenen Gebiet viel zu viele sprachliche Spuren einer voralemannischen Bevölkerung. Es sind Spuren, die nur durch ein längeres Nebeneinanderleben von voralemannischen Bevölkerungsteilen und Zuwanderern erklärt werden können. Diese voralemannischen Sprachspuren (Forscher sprechen von sprachlichem Substrat) können nach ihrer Herkunft grob in zwei Gruppen geschieden werden. Zum einen sind es vorrömische, keltische, zum anderen römerzeitliche, provinzialrömisch-lateinische bzw. romanische Sprachreste. Diese Reste finden sich vor allem in Gewässer-, Orts- und Flurnamen, seltener in der heutigen Mundart.
Voralemannische Fluss- und Ortsnamen
Dass Namen von größeren Flüssen wie Rhein, Neckar, Donau, Rotten/Rhone oder die Namen bekannter Städte wie Breisach, Basel, Zürich aus voralemannischer Zeit stammen, ist bekannt. Manche dieser Namen werden ja schon zu einer Zeit von antiken Autoren genannt, als von den Alemannen noch niemand etwas wusste. Daneben gibt es aber noch eine Vielzahl von kleineren Flüssen oder Örtlichkeiten, in deren Namen voralemannisches Sprachmaterial steckt. Die folgende Auflistung konzentriert sich auf Südbaden und lässt die zum Teil noch viel ergiebigeren Verhältnisse in der alemannischen Schweiz und im Elsass beiseite. An voralemannischen Gewässernamen wären da zu nennen:Alb, Murg, Oos, Acher, Rench, Durbach, Kinzig, Unditz, Lütschenbach, Brettenbach, Bregetze, Elz, Glotter, Murr, Brugga, Dreisam, Möhlin, Neumagen, Kander, Wiese, Wieslet und Wehra, an Siedlungsnamen Kork, Kehl, Kenzingen, Riegel, Schelingen, Breisach, Zähringen, Zarten, Kems, Märkt, Lörrach, Grenzach, Alpfen oder Gurtweil.Die Fülle dieser Namen spricht schon für ein längeres Nebeneinander von ansässiger Bevölkerung und Eroberern. Wie sollten sonst Namen von Bächen, die oft nur wenige Kilometer lang sind, übermittelt worden sein?
„Schwarzwaldromania”
Besonders verblüffend sind jedoch Forschungsergebnisse, die der aus Freiburg stammende Sprachwissenschaftler Wolfgang Kleiber in den letzten Jahrzehnten vorgelegt hat. Kleiber hat dargelegt, dass sich in bestimmten Bereichen des mittleren Schwarzwalds Wörter und Namen voralemannischer Herkunft häufen. Als Beispiele unter anderen nenne ich hier Namen wie Breg, Brigach, Bregenhöfe, Bregenbach, Brent, Bregetze, Bregnitz, Prägenhof, Prägbach usw., die allesamt zu gallisch briga 'Berg, Bergfluss' gehören. Dazu Name und Wort Gumme zu gallisch cumba 'Senke'; Gotte, Gutte, Guttel 'Rinnsal' zu lateinisch-romanisch gutta 'Tropfen'; Kinz, Chinz, Kinzge, Chinzge 'Hohlweg' zu gallisch quentica 'Tal, Einschnitt'. Daneben gibt es in südbadischen Weinbaugebieten Wörter wie etwa Sände, Särmde, Sändewelle 'Rebwelle', zu lateinisch-romanisch sarmentum, sarmenta 'Rebschoss' oder muddle 'Reben zurückschneiden', zu lateinisch-romanisch muttilare 'stutzen, kürzen'. Da einige dieser Namen oder Wörter noch romanische Lautentwicklungen (Tschalm, ein Bergname < calmis 'steinige Bergkuppe'; Gschasi 'Häuschen, zugehöriges Land' < casina 'Hütte') zeigen, kann zumindest stellenweise von einem mehrere Jahrhunderte währenden Nebeneinander von Vorbevölkerung und Alemannen ausgegangen werden. Ähnliche Erkenntnisse zur sprachlichen Kontinuität ergeben sich im Bodenseegebiet und in Vorarlberg aus den Arbeiten von Eugen Gabriel und Hubert Klausmann. Es lebt also in der Sprache im heutigen Südwestdeutschland manches aus voralemannischer Zeit weiter und es spricht nichts dagegen anzunehmen, dass auch in der Bevölkerung keltisches oder gallorömisches Erbe weiterlebt.
Die Sprache der Alemannen
Nach diesem Blick auf das Voralemannische ist nun das alemannische Spracherbe in den Blick zu nehmen. Man kann fragen: Wie sah die Sprache aus, oder besser, wie hörte sich die Sprache an, die von den Gruppen mitgebracht wurde, die sich hier als Alemannen vereinigten? Es ist wenig Konkretes, was man darüber weiß. Da es aus dieser Zeit keine Tonaufnahmen gibt, ist man auf indirekte Zeugnisse angewiesen. Dies sind vor allem Schriftzeugnisse, aus denen sich mit gewisser Vorsicht Hinweise auf gesprochene Sprache ermitteln lassen.
Frühe Schriftzeugnisse
Sehr frühe Schriftzeugnisse stellen Aufzeichnungen der germanischen Stammesrechte dar. Für uns wären dies der Pactus Legis Alamannorum und die Lex Alamannorum aus dem 7. und 8. Jahrhundert. Diese Rechte sind in Latein abgefasst, doch hin und wieder werden bestimmte Wörter in der Volkssprache wiedergegeben. Das liest sich dann etwa so: quod Alamanni laitihunt dicunt 'den die Alemannen Leithund nennen'. Die wenigen Wörter sind aber kaum sprachlich signifikant und stehen zudem mit Aufzeichnungen anderer Stammesrechte, z. B. fränkischen, bairischen, langobardischen, in Beziehung, so dass aus ihnen keine alemannischen Besonderheiten abgeleitet werden können. In der Zeit des sogenannten Althochdeutschen (ca. 800-1050) entstehen in Klöstern, z. B. in St. Gallen, Murbach, der Reichenau, Texte in der Volkssprache, die aber nur punktuelle Spracheigenheiten ihrer Schreiber und deren Schreibgewohnheiten dokumentieren. Eine einheitliche, einen bestimmten Raum erfassende Sprache mit erkennbaren Sprachgrenzen lässt sich anhand dieser Dokumente für diese Zeit noch nicht ermitteln.
Erst mit dem immer stärkeren Gebrauch der Volkssprache an Stelle des Lateins in Literatur, Urkunden und Verwaltungstexten, lassen sich sprachräumliche Strukturen im Alemannischen herausarbeiten. Dies wurde im Historischen Sprachatlas Südwestdeutschlands, dem ersten und bisher einzigen Unternehmen dieser Art im deutschen Sprachraum, mit folgender Methode angegangen: Man untersuchte die Sprache (Schreibungen) in sogenannten Urbaren, das sind Aufzeichnungen über Verpflichtungen und Abgaben, die der Territorialherr (z. B. Klöster, Stifte) von seinen Gütern erhob, aus der Zeit zwischen 1250-1450. Da diese Textsorte ortsgebunden und zeitlich gut fixierbar ist, eignet sie sich hervorragend für solche sprachlichen Vergleiche (strenggenommen sind es natürlich nur Vergleiche von Schreibungen, die aber Rückschlüsse auf die Sprache zulassen).
Erst mit dem immer stärkeren Gebrauch der Volkssprache an Stelle des Lateins in Literatur, Urkunden und Verwaltungstexten, lassen sich sprachräumliche Strukturen im Alemannischen herausarbeiten. Dies wurde im Historischen Sprachatlas Südwestdeutschlands, dem ersten und bisher einzigen Unternehmen dieser Art im deutschen Sprachraum, mit folgender Methode angegangen: Man untersuchte die Sprache (Schreibungen) in sogenannten Urbaren, das sind Aufzeichnungen über Verpflichtungen und Abgaben, die der Territorialherr (z. B. Klöster, Stifte) von seinen Gütern erhob, aus der Zeit zwischen 1250-1450. Da diese Textsorte ortsgebunden und zeitlich gut fixierbar ist, eignet sie sich hervorragend für solche sprachlichen Vergleiche (strenggenommen sind es natürlich nur Vergleiche von Schreibungen, die aber Rückschlüsse auf die Sprache zulassen).
Der Historische Südwest-deutsche Sprachatlas
Hinzu kommt, dass in diesen Urbaren viele örtlich verwendete Sprachformen, nämlich Personen, Orts- und Flurnamen auftauchen, die nahe an der tatsächlich gesprochenen Sprache anzusiedeln sind. Wenn man nun in diesen Urbaren für jeden belegten Ort etwa die Schreibungen eines bestimmten Wortes, z. B. für die Entsprechung unseres Wortes gehen vergleicht, so fällt auf, dass im Südwesten hierfür Schreibungen wie gân, gan, im Norden, also im Fränkischen, dagegen vor allem gên, gen u. a. auftauchen. So kann man bei vielen Wörtern oder auch bestimmten Lautentsprechungen vorgehen und erhält so eine Fülle von Daten, die in Karten dargestellt werden können. Als Beispiel für eine Karte aus dem Historischen Südwestdeutschen Sprachatlas ist hier die Karte für die Bezeichnungen der Kelter dargestellt. Man erkennt auf dieser Karte klar drei Gebiete, nämlich Kelter im Norden, Torkel im Bodenseegebiet und Trotte im Gebiet dazwischen. Diese und viele Karten dieses Historischen Sprachatlasses zeigen uns zweierlei: Erstens ist immer wieder ein deutlicher Gegensatz zwischen dem fränkischen und alemannischen Gebiet erkennbar (wobei oft fränkische Spracheinflüsse über das Elsass weit nach Süden reichen), und zweitens zeigt sich, dass häufig innerhalb des Alemannischen eine deutliche Differenzierung hervortritt. Das Alemannische grenzte sich schon vor 700 Jahren vom Fränkischen ab, war aber andererseits schon damals kein einheitlicher Sprachraum, wie am Gegensatz Trotte-Torkel erkennbar ist.
Es ist denkbar, dass in der Zeit zwischen der Ansiedlung der Alemannen und den ersten Schriftzeugnissen, die uns ein Bild der alemannischen Sprachlandschaft vermitteln, starke Sprachveränderungen stattgefunden haben, die eine ursprünglich eher einheitliche Sprache auseinander entwickelt haben, doch dies ist reine Spekulation. So wird z. B. gesagt, dass die Alemannen ein eigenes einheitliches Wort für 'Wiese', nämlich Matte gehabt hätten, das aber heute nur noch im Südwesten des Alemannischen gebräuchlich ist, während sich im Schwäbischen, im Hegau, Bodenseeraum und in der Nordostschweiz Wiese durchgesetzt habe. Interessant ist, dass das Wort Matte, das ja zu mähen, Mahd gehört ('das was gemäht wird'), eine Entsprechung am Nordwestrand der Germania, nämlich in englisch meadow 'Wiese' hat.
Es ist denkbar, dass in der Zeit zwischen der Ansiedlung der Alemannen und den ersten Schriftzeugnissen, die uns ein Bild der alemannischen Sprachlandschaft vermitteln, starke Sprachveränderungen stattgefunden haben, die eine ursprünglich eher einheitliche Sprache auseinander entwickelt haben, doch dies ist reine Spekulation. So wird z. B. gesagt, dass die Alemannen ein eigenes einheitliches Wort für 'Wiese', nämlich Matte gehabt hätten, das aber heute nur noch im Südwesten des Alemannischen gebräuchlich ist, während sich im Schwäbischen, im Hegau, Bodenseeraum und in der Nordostschweiz Wiese durchgesetzt habe. Interessant ist, dass das Wort Matte, das ja zu mähen, Mahd gehört ('das was gemäht wird'), eine Entsprechung am Nordwestrand der Germania, nämlich in englisch meadow 'Wiese' hat.
Vom Alter der Mundart
Vergleicht man die heutige Mundart mit historisch belegten Zeugnissen, so stellt man fest, dass einerseits manche Eigenheiten der Mundart schon sehr alt sind, andererseits merkt man aber auch, dass sich vieles verändert hat. Ebenso ist es beim Vergleich zwischen Mundart und Hochsprache. Hier gibt es ebenfalls Übereinstimmendes aber auch viele Abweichungen. Dabei muss jedoch bedacht werden, dass unsere Schriftsprache ein relativ junges Gebilde ist, und man muss sich davor hüten, zu meinen, die hochsprachliche Form wäre die normale, ältere und authentischere Form, die Mundart sei dagegen nur eine daraus hervorgegangene aber heruntergekommene Variante. Diese Sicht entspricht nicht den historischen Tatsachen. Mundarten sind alte, eigenständige Sprachsysteme mit eigenen Regeln und Entwicklungen, die Jahrtausende zurückreichen.
Alemannisch am Freiburger Münster
Beharrlichkeit und Wandel des Alemannischen sollen jetzt an einem Beispiel vorgeführt werden. Wer sich am Westportal des Freiburger Münsters genauer umsieht, wird neben eingemeißelten Maßen für Längen, Brote, Ziegelsteine, Zuber auch einige Inschriften entdecken, die schon einige Jahrhunderte hier verewigt sind. Auf der rechten Seite findet sich eine Inschrift in gotischen Lettern aus dem Jahr 1403, die Markttermine festlegt.
Der Text am Freiburger Münster zeigt deutliche alemannische Sprachmerkmale. Typisch alemannischer Wortschatz zeigt sich in Zistag 'Dienstag' und Kilwi 'Kirchweihe'. Der Zistag, in heutiger Mundart Zischdi(g), ist eine genaue Übersetzung des lateinischen Vorbilds dies Martis ('Tag des Mars') in alemannische Verhältnisse, denn statt des römischen Kriegsgotts Mars haben sie ihren eigenen Kriegsgott Ziu genommen. Die Germanen haben nämlich die nach den Planetengöttern benannten Wochentage von den Römern übernommen, sie aber auf ihre Götterwelt übertragen. Kilwi ist aus einer Zusammensetzung von alemannisch Kilche 'Kirche' und Wîhe 'Weihe' entstanden. Kilche ist auch in historischen Texten ein typisches alemannisches Kennwort. Heute ist es stark auf dem Rückzug, doch besonders im Südwesten kann es als Chilche, Kilche in der Mundart gehört werden. Kilwi 'Kirchweih' dagegen ist im Breisgau und Markgräflerland auch heute noch häufig bezeugt.
In lautlicher Hinsicht verraten Merkt 'Markt' und Mentag 'Montag' ihren alemannischen Charakter, denn hier sagt man noch heute Merk(t), Merik(t), Mendi(g). Die Form bed 'beide' ist im Badischen Wörterbuch noch dokumentiert, begegnet aber in heutiger Mundart sehr selten. Wir sehen an dieser 600 Jahre alten Inschrift, dass sich das Alemannische etwas verändert hat, dass sich aber wesentliche Eigenheiten beharrlich gehalten haben und bis auf den heutigen Tag in Gebrauch sind.
Buchstäbliche Wiedergabe (mit Auflösung der Kürzel in Klammern):
Ein iar merkt wirdet vf de(n) nechste(n) mentag vn(d) zistag nach sa(n)ct niclaus kilwi. Und der and(er) uf de(n) nechste(n) zistag vn(d) mitwvche(n) nach all(er) heilige(n) tag vn(d) bed iarmerkt ei(n) tag vor vn(d) ei(n) nach gevriet
Freie Übersetzung:
Ein Jahrmarkt findet statt auf den nächsten Montag und Dienstag nach der Sankt-Nikolaus-Kirchweih (25.6.). Und der andere auf den nächsten Dienstag und Mittwoch nach dem Allerheiligentag (1.11.). Und beide Jahrmärkte haben einen Tag davor und einen danach Marktfreiheit.
Der Text am Freiburger Münster zeigt deutliche alemannische Sprachmerkmale. Typisch alemannischer Wortschatz zeigt sich in Zistag 'Dienstag' und Kilwi 'Kirchweihe'. Der Zistag, in heutiger Mundart Zischdi(g), ist eine genaue Übersetzung des lateinischen Vorbilds dies Martis ('Tag des Mars') in alemannische Verhältnisse, denn statt des römischen Kriegsgotts Mars haben sie ihren eigenen Kriegsgott Ziu genommen. Die Germanen haben nämlich die nach den Planetengöttern benannten Wochentage von den Römern übernommen, sie aber auf ihre Götterwelt übertragen. Kilwi ist aus einer Zusammensetzung von alemannisch Kilche 'Kirche' und Wîhe 'Weihe' entstanden. Kilche ist auch in historischen Texten ein typisches alemannisches Kennwort. Heute ist es stark auf dem Rückzug, doch besonders im Südwesten kann es als Chilche, Kilche in der Mundart gehört werden. Kilwi 'Kirchweih' dagegen ist im Breisgau und Markgräflerland auch heute noch häufig bezeugt.
In lautlicher Hinsicht verraten Merkt 'Markt' und Mentag 'Montag' ihren alemannischen Charakter, denn hier sagt man noch heute Merk(t), Merik(t), Mendi(g). Die Form bed 'beide' ist im Badischen Wörterbuch noch dokumentiert, begegnet aber in heutiger Mundart sehr selten. Wir sehen an dieser 600 Jahre alten Inschrift, dass sich das Alemannische etwas verändert hat, dass sich aber wesentliche Eigenheiten beharrlich gehalten haben und bis auf den heutigen Tag in Gebrauch sind.
Buchstäbliche Wiedergabe (mit Auflösung der Kürzel in Klammern):
Ein iar merkt wirdet vf de(n) nechste(n) mentag vn(d) zistag nach sa(n)ct niclaus kilwi. Und der and(er) uf de(n) nechste(n) zistag vn(d) mitwvche(n) nach all(er) heilige(n) tag vn(d) bed iarmerkt ei(n) tag vor vn(d) ei(n) nach gevriet
Freie Übersetzung:
Ein Jahrmarkt findet statt auf den nächsten Montag und Dienstag nach der Sankt-Nikolaus-Kirchweih (25.6.). Und der andere auf den nächsten Dienstag und Mittwoch nach dem Allerheiligentag (1.11.). Und beide Jahrmärkte haben einen Tag davor und einen danach Marktfreiheit.
Alemannisch: Alte Wurzeln – lebendige Triebe
Die heute hier gesprochene Mundart, Alemannisch genannt, ist das Ergebnis eines langen historischen Prozesses. Sie ist entstanden aus den mitgebrachten Sprachen der in der Spätantike und im Frühmittelalter hier eingewanderten germanischen Siedler, durchsetzt mit sprachlichen Resten der Kelten und Galloromanen und hat sich dann immer weiter entwickelt, wobei interne Neuerungen, sprachliche Strömungen von außen , z. B. entlang des Rheins, aber auch Beeinflussungen durch das Französische, Italienische, ja selbst aus dem Hebräischen der einst hier lebenden Juden ihre heutige Form ausgebildet haben. Das heutige Alemannische ist, so können wir Johann Peter Hebel entgegenhalten, zwar nicht die reine Stammessprache eines einheitlichen alemannischen Stammes, aber in ihrer heutigen Form und Vielfalt lassen sich sehr alte Wurzeln und daneben eine Bereicherung und Veränderung innerhalb ihrer Geschichte erkennen. Das Alemannische steht und stand immer im Spannungsfeld zwischen Beharrung und Wandel.
Literatur:
- Bassler, Harald / Steger, Hugo 1997: „Alemannisch“ als Teil des Althochdeutschen. In: Die Alamannen. Hrsg. vom Archäologischen Landesmuseum Stuttgart. Stuttgart.
- Geuenich, Dieter 1997: Geschichte der Alemannen. Köln (Urban-Taschenbücher 575).
- Klausmann, Hubert / Kunze, Konrad / Schrambke, Renate 31997: Kleiner Dialektatlas Alemannisch und Schwäbisch in Baden-Würtemberg. Bühl (Themen der Landeskunde 6).
- Kleiber, Wolfgang / Kunze, Konrad / Löffler, Heinrich 1979: Historischer Südwestdeutscher Sprachatlas, aufgrund von Urbaren des 13. bis 15. Jahrhunderts. Bern/München.
- Kleiber, Wolfgang / Pfister, Max 1992: Aspekte und Probleme der römisch-germanischen Kontinuität. Sprachkontinuität an Mosel, Mittel- und Oberrhein sowie im Schwarzwald. Stuttgart 1992. (Veröff. der Akad. der Wissenschaften und der Literatur, Mainz).
- Kunze, Konrad 31997: Alemannisch - was ist das? In: Klausmann, Hubert / Kunze, Konrad / Schrambke, Renate: Kleiner Dialektatlas. Alemannisch und Schwäbisch in Baden-Württemberg. Bühl (Themen der Landeskunde 6).