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Zu Wort und Schrift: Widder mol ebbs zu de Schriibi

Stefan Pflaum

“Eine verbindliche Schreibweise für Mundarten gibt es nicht”, schreibt Hans Scholz im Vorwort zu “Eine Sprache, viele Zungen”. Mit dieser Tatsache muss sich jeder, der seine Mundart schreibt, auseinandersetzen. Er muss sich für eine eigene Orthographie entscheiden. Gewiss gibt es Empfehlungen, deren man sich dankbar bedient. So in der Kurzgrammatik von Harald Noth oder in der von der Muettersproch-Gsellschaft herausgegebenen Broschüre “Ä lockeri Hilf.” Wir haben das Wörterbuch von Hubert Baum und wir wissen von zahllosen Beiträgen zu diesem Thema. So schrieb Richard Gäng in den “Anmerkungen des Schriftleiters” zu den 1970 herausgegebenen “Alemannischen Geschichten”:
“Bilde in der Mundart keine Buchstabenkombinationen, die es in der Schriftsprache nicht gibt, es sei denn, die lokale Variation erfordere sie!” “Es sei denn ...!” In der Alemannischen Anthologie “S Lebig Wort” wird 1978 der Schweizer Georg Thürer erwähnt, der 1962 meinte, man greife “in ein Wespennest”, wenn man sich um eine einheitliche Rechtschreibung der Mundart bemühe (S. 14).

Im “Wörterbuch deutscher Dialekte” des Bertelsmann Lexikon Verlags finden wir: “Die zweifellos schwierigsten Entscheidungen waren bei der Überführung der gesprochenen Sprache “Dialekt” in die Schrift zu treffen. Denn der Charme der Dialekte besteht ja vielfach in ihrer Aussprache, die so unterschiedlich und nuancenreich ist ... Hier ist deshalb eine Entscheidung nötig gewesen, die allerdings schon von den anderen Dialektwörterbüchern vorgeprägt worden ist. Diese wählen eine Normalschreibung, die sich an der standarddeutschen Rechtschreibung orientiert. Und das führt zu einer Standardisierung im Schriftbild des Dialektwortes.” (S. 32) Sehr lesenswert dazu auch die Seiten 41-55 im schönen Büchlein “Wäärerdütsch”, Mundart in Wehr, von Bruno Schäuble im Kapitel Stichwörter (erschienen 2002 im Drey - Verlag).

Zwischen “möglichst nahe an der Schriftsprache” und den Erfordernissen der “lokalen Variation” bewegt sich also die Schreibung von Mundart, zwischen Zugeständnis an den Leser - deshalb die geforderte Nähe zum Schriftdeutschen und Nähe zum gesprochenen Wort. Aber “zwischen beiden Richtungen gibt es noch mancherlei Zwischenlösungen”, so die Herausgeber von “Mei Sprooch – dei Red” – Mundartdichtung in Baden-Württemberg. Die Sprachgeschichte der einzelnen Wörter gebietet, bzw. verbietet ebenfalls bestimmte Schreibungen. Man sollte jedenfalls weder zu sehr in Richtung Hochsprache vereinheitlichen noch mit der phonetischen Wiedergabetreue übertreiben.

Selbst im kleinen Dialektatlas von Klausmann, Kunze und Schrambke schreiben die Autoren, man könne bei wortgeographischen Gegensätzen “etwa Dienstag gegenüber Zi(n)stag” nicht die genaue Lautform der betreffenden Wörter anführen, “(z.B Diischti(g), Denschtich, Zeischtig), denn dadurch würden die Karten völlig unübersichtlich.” Es ergebe sich hier die Notwendigkeit zu typisieren ...

Der eine Autor wird mehr in Richtung Schriftdeutsch vereinheitlichen, dem anderen mag die möglichst lautgetreue Wiedergabe am Herzen liegen. Wieder andere tendieren mal da, mal dorthin, haben hier die größtmögliche Zahl der Leser im Blick, dort die Genauigkeit des Lautbildes im Ohr. Hier den Leser in Karlsruhe, dort den Sprecher in Oberried. Oft – oder gar meist – gibt aber weder das eine noch das andere den Ausschlag, sondern ausschließlich künstlerische Absichten sind bestimmend. Über die jedoch lässt sich schlecht unter dem Gesichtspunkt von Dialekttreue oder Orthographie rechten. Auch historische Begründungen, Gewohnheiten, individuelle Lautvorstellungen und Lautassoziationen, lautmalerisches Wollen, absichtliches Übertreiben, bewusst eingesetzte “altertümelnde” Formen, aber auch intendierte Brechungen und Verstöße spielen mit in die Schreibung hinein.

Sogar Familienüberlieferungen können eine Rolle spielen. “Bi uns deheim sait mr dem so!”

Der Schreibende also möchte diesen Vokal eben nicht nur gedehnt sondern überdehnt, einen anderen nicht nur offen, sondern übertrieben offen, jenen Konsonanten schwach und nicht stark, hier genau diesen Diphthong (Zwielaut) und dort genau diese Kontraktion (Zusammenziehung). Bindestrich und Apostroph werden, wie ich beim Durchgehen der Mundartliteratur feststellen konnte, von manchen häufig, von anderen wenig oder auch gar nicht benutzt. Schweizer Mundartdichter neigen grundsätzlich mehr zur phonetischen Schreibung wie zum Beispiel Max Huwyler. Der Empfehlung, getrennte Wörter getrennt zu schreiben, keine doppelten Umlaute zu benutzen oder “s” zu schreiben, obgleich man “sch” spricht, wenn im Hochdeutschen “s” geschrieben wird, folgt er nicht: “ufem Wasser”, “Sägelböötli”, “Schwöschter”. So in “Föönfäischter”, Mundarterzählung, Gedichte, 1987. Diese Schreibung erleichtert ohne Zweifel das richtige laute Lesen.

Wie man sich über Rechtschreibung streiten kann hat uns ja erst die jüngste Rechtschreibreform des Hochdeutschen vor Augen geführt. Bis heute liegen sich Linguisten, Sprachhistoriker, Lehrer, Schriftsteller und Politiker darüber in den Haaren. Und das, nachdem eine Kommission jahrelang für teueres Geld an der Reform gearbeitet hat. Sogar der Untergang der deutschen Sprache wurde wortreich beschworen. Wie viel schwieriger wäre es, einheitliche Regeln für die Vielzahl nur der alemannischen Mundartgebiete aufzustellen, ohne einen Dauerkrieg zu entfachen.

Immer mehr Menschen auch aus unserem Sprachraum wechseln heute ihren Wohnort wiederholt und leben und arbeiten somit nicht nur in nichtalemannischen Sprachräumen, sondern haben ihre Wohnung, Ausbildung und Arbeit zu verschiedenen Zeiten und innerhalb verschiedener Altersstufen auch innerhalb unterschiedlicher alemannischer Sprachgebiete. Dies gilt für den Leser und auch für denjenigen, der Mundart schreibt. Also findet sich bei Letzterem vielleicht Wortschatz sowohl aus dem Kaiserstuhl als auch aus dem Markgräflerland und Freiburg. Ja, ein und dasselbe Wort kann in verschiedenen Texten im gleichen Buch in regional unterschiedlichen Ausformungen realisiert sein. Entsprechend die Schreibung.

Das wird Puristen ärgern. Aber wenn schon die Dialekttreue “nit äso ins Gwicht” fallen darf, wie M. M. Jung richtig fordert, dann in der Folge auch nicht die regionale Variante der Schreibung. “Wer mueß denn welem Dialekt treu sii” schreibt Jung im Vorwort zu “weleweg – selleweg”. Richtig! Und wer der Mundart viele Freunde gewinnen will, sollte die individuelle Entscheidung für diese oder jene Variante der Schreibung nicht zu beckmesserisch unter die Lupe nehmen. Unter welche Lupe denn? Der Autor wird schon seine Gründe haben, so und nicht anders zu schreiben.

Wer mueß denn welere Schriibi treu sii? Ä andermol meh!
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